Ich benötige kein Mikrofon …
Ich spreche laut und deutlich genug, dass mich jeder hören kann
Von Eyolf Berg, Pfarrer der Nord. Kath. Kirche, Schriftführer von IVSS Churchear
Der Titel beschreibt eine wohlbekannte Situation, und ich sehe mich selbst darin, wenn ich auf dieses Problem stoße. Jahrelang sagte ich dasselbe, wenn mir ein Mikrofon in Kirchen oder in Gemeinde räumen angeboten wurde. Und ich schob festinstallierte Mikrofone weit weg, weil ich sie überflüssig fand. Der Schöpfer hat mich mit einer Stimme ausgestattet, die wahrscheinlich lauter ist als von vielen anderen. Ich bin mir auch stets bewusst, klar und deutlich zu sprechen. Dies bedeutet, dass viele schwerhörige, ältere Menschen in Pflegeheimen meine Besuche schätzen, weil ich es fertigbrachte ihr „Schallmauer“ zu durchbrechen- dachte ich jedenfalls.
Ein 7-jähriges Mädchen machte mir bewusst wie falsch ich damit lag und wie viele ich benachteiligt hatte in den letzten 20 Jahren, meine Predigten zu verstehen. Sie war ein sehr schwer hörgeschädigtes Mädchen, das in der Kirche saß und bei der Beerdigung einen Klassenkameraden weinte, weil der Küster meinte, es sei überflüssig die Induktionsanlage anzuschalten- und deshalb dies ablehnte. Der amtierende Pfarrer hatte eine kräftige, gute Stimme, aber kein einziges Wort erreichte das kleine Mädchen, wenn ihr Vater, der neben ihr saß, nicht versucht hätte in einfachster norwegischer Gebärdensprache ihr die Worte zu übersetzen – während er sich die ganze Zeit über das fehlende Verständnis und den Unwillen des Küsters sich ärgerte.
Ich spreche laut und deutlich genug für alle Guthörende, selbst in den letzten Reihen einer relativ großen Kirche. Aber nicht alle, die in der Kirche sitzen, sind Guthörende, eine überraschend große Anzahl. Ich mag es oder mag es nicht, aber es ist meine Verantwortung, dass das Gesagte alle erreichen kann.
Ein großer Anteil der Schwerhörigen in der Gemeinde, ist nur leicht schwerhörig. Die Beeinträchtigung belastet sie im täglichen Leben nicht stark, außer dass sie ab und zu nachfragen und bitten etwas zu wiederholen, besonders dann wenn mehrere Menschen gleichzeitig sprechen. Normalerweise benutzen sie keine Hörhilfen, Lautsprecher reichen im Großen und Ganzen vollkommen aus, vorausgesetzt sie sind richtig installiert und eingestellt. Nicht richtig installierte und eingestellte Lautsprecher können die Situation noch verschlimmern als ohne Lautsprecher. Außer sie sitzen in den ersten Reihen der Kirchenbänke (und wie viele sitzen tatsächlich freiwillig dort?) können sie kaum ein einziges Wort verstehen, dass ich am Altar oder auf der Kanzel spreche, außer ich benutze ein Mikrofon. Diese Gruppe von Hörgeschädigten wird sehr leicht übersehen, einfach weil sie ohne Hörgeräte unsichtbar sind.
Sobald die Hörschädigung stark genug ist, dass eine Hörhilfe benötigt wird, wird die Notwendigkeit augenscheinlicher. Trotzdem es gibt die Gruppe, der mit richtig installierten und eingestellten Lautsprechern geholfen werden kann, aber für die meisten der Benutzer von Hörgeräten ist selbst der beste Lautsprecher von geringem bzw. keinem Nutzen. Meine kräftige Stimme und meine Fähigkeit klar und deutlich zu sprechen hat dann überhaupt keinen Wert. Bestenfalls können sie die Vokale hören, aber die Konsonanten kommen nicht bei ihnen an. Sie benötigen andere Hilfsmittel, und wir reden an erste Stelle von Induktionsschleifensystemen.[1] Eine Induktionsschleife ist – vereinfacht gesagt – ein Kurzbereich -Radiosender. Der Sender ist in der Kirche oder dem Gemeinderaum installiert, und in den Hörgeräten ist ein Empfänger des Signals eingebaut, der das Signal an die Hörfähigkeit des Nutzers anpasst.
Leider gibt es eine große Anzahl von Kirchen und Gemeinderäumen ohne Induktionsanlagen, selbst in Europa, trotz der EU- Regelung, die allg. Zugang auch für Schwerhörige fordert. Viel zu oft wird die Induktionsanlage weggelassen, um Geld zu sparen, trotz der Tatsache, dass ein System, das den Erfordernissen des universalen Zugangs erfüllt, kaum mehr als € 2000–3000 kostet.
Wir sprechen mit anderen Worten von sehr geringen Kosten. Ein installiertes System, das nicht genutzt wird, ist keine Hilfe. Die Verantwortung des Anschaltens und Nutzens der Anlage liegt beim Pastor/Prediger als auch beim Küster/Hausmeister. Ein Induktionsschleifen-System, das unbenutzt ist, ist nicht weniger als eine Beleidigung der Schwerhörigen, die eine Veranstaltung besuchen und erwarten können, in derselben Weise wie Normalhörende mit einbezogen zu werden. Falls das System nicht eingeschaltet ist, muss der Pastor/Prediger bitten, dies einzuschalten. Wie können sie glauben, wenn sie nicht hören, was gepredigt wird? – die Worte des Paulus leicht umgeschrieben. Und falls ein Pastor/Prediger behauptet er/sie benötige kein Mikrofon, dürfen die Verantwortlichen der Veranstaltung solch eine Einstellung nicht akzeptieren, dies ist eine Beleidigung der Schwerhörigen im Publikum.
Das System benötigt Wartung- regelmäßige und vorbeugende Wartung. Dass der Lautsprecher und die Induktionsschleife außer Betrieb sind, ist keine akzeptable Entschuldigung. Regelmäßige Überprüfungen ergeben, dass 90% aller Fehler rechtzeitig entdeckt und repariert werden können, bevor es zu einem Ausfall des Systems kommt.
Die 2014 IVSS-Churchear Konferenz für Schwerhörigen Seelsorge fand in Krakau/Polen statt; sie hatte das Thema „Nur ein Schaf?“ und beleuchtete die Frage warum Schwerhörige sich aus den Gemeinden zurückziehen, und was kann getan werden, dies zu verhindern und was kann sie zurückbringen.
Heutzutage, wenn wir über Schwerhörigkeit sprechen, meinen wir nicht nur ältere Personen, die Gottesdienste oder Veranstaltungen aus Gewohnheit besuchen. Was wir früher Altersschwerhörigkeit nannten, ist heute ein Phänomen, das man selbst bei Menschen in den 30-igern findet. Dies ist dem steigenden Geräuschpegel der modernen Gesellschaft geschuldet- speziell dem Geräuschpegel der Musik junger Menschen in Konzerten wie auch in tragbaren Geräten mit Ohrstöpseln. Wir sehen dies fast überall, auf der Straße, in Bussen usw. Die Hörschädigung, die früher nur nach einem langen Arbeitsleben vorhanden war, taucht heute bereits bei Beginn der Berufskarriere auf. Diese Menschen sind selbstbewusst, begabt, wissen was sie wollen und wozu sie berechtigt sind. Sie sind nicht dankbar für „Krümel vom Tisch“ der Hörenden. Sie fordern das Recht ein, in alle Ereignisse mit einbezogen zu werden. Es gibt auch diejenigen, die von Geburt an, schwerhörig sind, genetische oder andere Gründe, als auch diejenigen, die durch Krankheit oder Verletzungen Hörschäden haben. Heute sind selbst diese Gruppen selbstbewusster als dies noch vor einigen Jahrzehnten war. Finden wir sie in unseren Gemeinden? Oder sind sie verloren gegangen? Wie kann man sie zurückführen in unsere Kirchengemeinden? Das eine Schaf ist leider nicht nur das einzige!
Schließen wir mit Paulus, der an die Römer schreibt: „Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?“ (Röm. 10/14) Vielleicht sollte Paulus eher geschrieben haben: „… wie können sie hören, ohne dass jemand predigt, so dass es möglich ist zu hören was gesagt wird?“ Oh, ja ich brauche sicher ein Mikrofon! Ich brauche sicher Lautsprecher als auch Induktionsanlagen und falls ich durch diesen Artikel Erfolg habe, ein Bewusstsein bei zumindest einem Mitprediger zu wecken, so mag ich vielleicht Buße getan haben zumindest für ein paar Beleidigungen gegen meine schwerhörigen Zuhörer während der Jahre, als ich glaubte, ich brauche keine Hilfsmittel.
(Deutsche Übersetzung: Anette Heiber)
[1] Es gibt auch andere Technologien, wie Infrarot oder FM-Systeme. Die Erfahrung zeigt, dass die traditionelle Induktionsschleife das verlässlichste, universellste, das am einfachsten zu benutzende und zu wartende System ist. Die anderen Technologien sind abhängiger von Nachschub und sind häufig nicht kompatibel untereinander, wenn sie von unterschiedlichen Herstellern kommen.